Dienstag, 23. September 2014

Der Zauber des Theaters


Während meiner Zeit hier in England hat es mich das erste Mal (seit der Schule) wieder ins Theater verschlagen.
Aber, wie ihr euch vielleicht schon vorstellen könnt, überkam mich nicht plötzlich die Lust, auf den Spuren Shakespeares zu wandeln. Nein, meine Gründe waren etwas fragwürdiger profaner: Wie es das Schicksal so wollte (denn wir wissen alle, was das Universum von Zufällen hält), spielt gerade im Moment Martin Freeman in London an den Trafalgar Studios in London in Richard III. 
Noch nie davon gehört? Ich auch nicht. Doch nachdem ich meine Hausaufgaben gemacht und das Stück pflichtbewusst gelesen hab, um an meinem großen Tag nicht nur zu gaffen und Bahnhof zu verstehen, kann ich euch eine kleine Zusammenfassung geben: Lord Richard von Gloucester, gespielt von Martin Freeman, ist nicht gerade der schönste Mann auf Erden (da war bestimmt einige Zeit in der Maske nötig) und ziemlich frustriert, denn sein Bruder Edward ist König, sein anderer Bruder George ist der nächste in der Thronfolge, und eine Frau hat er auch nicht, um sich die Zeit zu vertreiben.
Also entscheidet er, ein Bösewicht zu werden.
Hört sich erstmal nicht soo gefährlich an, aber Richard ist da ziemlich konsequent: erst lässt er seinen einen Bruder George ermorden, dann stirbt König Edward (womöglich der einzige im Stück, der eines halbwegs natürlichen Todes stirbt), sodass zwischen Richard und dem Thron nur Edwards Söhne stehen.
Was mit denen passiert könnt ihr euch dann wohl auch denken (falls nicht: die sterben auch).
Es sterben noch Massen anderer Leute, die den Thron auch nur schief ansehen, Richard wird König von England und am Ende siegt Richmond (Wer ist Richmond? Gute Frage, auf jeden Fall gewinnt er am Ende und endet die schreckliche Schreckensherrschaft Richards).
Das war’s in aller Kürze. Das Stück ist allerdings sehr spannend wenn man es denn erstmal verstanden hat und beruht im Großen und Ganzen auf der Wahrheit.
Ich bin also mit gemischten Gefühlen ins Theater gegangen: Vorfreude auf einen brillianten Schauspieler und ein Ticket in der 3. Reihe auf der einen Seite, die gruselige Vorstellung von Königen und Lords in Strumpfhosen auf der anderen.
Aber meine Ängste waren umsonst (Gott sei Dank, das wären verstörende zwei Stunden gewesen): das Theater war winzig und kuschlig, die Kulisse mit Telefonen und Fernsehern deutete eher weniger auf Strumpfhosen hin. Und in der Tat erwartete mich eine eher moderne Interpretation des Stücks Shakespeares (gelten die Siebziger noch als Modern?). Und es war wunderbar.
Die Schauspieler (nicht nur Martin Freeman) waren so brilliant, die Licht- und Toneffekte so genial und die Atmosphäre so gänsehautbereitend, dass ich zwei Wochen später im gleichen Stück saß – nur eine Reihe weiter vorne als zuvor. Und es war wieder einmalig.
Alles, was ich hier beschreiben könnte, würde es wohl nicht im Ansatz treffen, denn ein solches Zusammenspiel von allen Sinnen (ja, man konnte dank des exzessiven Qualmens Rauchens sogar etwas riechen und dank des noch exzessiveren Mordens inklusive Blutspritzens auch fühlen) kann man nicht mit Worten beschreiben – erst recht nicht schwarz auf weiß.
Doch der Moment, der mir fast am meisten Gänsehaut bereitet hat, kam noch bevor der erste Schauspieler die Bühne betrat: dieser eine Moment, in dem plötzlich das ganze Theater still wird, in dem wie auf Knopfdruck alle Gespräche verstummen und in dem man die spannungsvolle Vorfreude fast greifen kann.
Das ist der Moment, der das Theater so besonders macht: es ist etwas Besonderes, man weiß nie so genau, was einen gleich erwartet, man kann nicht, wie bei einem Film den man schon mal gesehen hat voraussagen, wie eine Szene ablaufen wird.
Die Charaktere erwachen zum Leben.
Dieser eine Moment allein macht das Theater zu etwas Besonderem (+ Martin Freeman).
Ich kann es nur empfehlen.
eure Laura



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