Freitag, 20. April 2018

Frankenstein (und) das Monster

Erst lässt sie monatelang nichts von sich hören und dann ... eine Buchrezension !?
Ja, ich weiß, das ist normalerweise nicht so mein Thema und eigentlich würde ich auch eher die Finger davonlassen – vor Kurzem wurde mir erst wieder gesagt, Zusammenfassungen von Serien oder Büchern seien nicht soo mein Steckenpferd. Aber was soll ich machen, wenn ich erstmal anfange zu erzählen bin ich schnell so aufgeregt, dass ich nicht mehr aufhören kann bis ich die ganze Geschichte verplappert habe. Ups.

Doch in diesem Fall ist es ein wenig anders – trotzdem sage ich es lieber vorher: Achtung Spoiler! Ihr wurdet gewarnt.

Ich habe vor einigen Jahren zusammen mit Freundinnen in einem Mannheimer Kino die Aufzeichnung der Theateradaption von Mary Shelleys Frankenstein gesehen, geschrieben von Nick Dear. Wer mich kennt und den Trailer gesehen hat, kann sich denken, warum ...

Doch im Nachhinein muss ich sagen, dass von dem Stück mehr hängengeblieben ist als nur ein unterhaltsamer prä-Abend. So viel mehr sogar, dass ich mir das Stück ein zweites Mal in Mannheim angesehen habe (dazu später mehr) und mir die Printausgabe gekauft habe.

Es ist ein Stück über das Wesen der Menschen, das Gute wie das Böse, ein Stück über Liebe und die Frage, wer und was (unsere) Liebe verdient, ein Stück, das sich mit der nature versus nurture-Debatte und der Erbsünde auseinandersetzt. Ein Stück, das uns am Ende fragen lässt: Wer ist hier eigentlich das Monster?

Aber vielleicht sollte ich erstmal mit einer kleinen Zusammenfassung anfangen, gespickt mit einigen Zitaten aus dem Buch* selbst (ich geb’ mir auch Mühe dabei):
Zu Beginn erleben wir als Zuschauer die Geburt der Kreatur in Ingolstadt. Ganz alleine und in kindlicher Unschuld macht sie wortwörtlich ihre ersten Schritte in der Welt. He’s Adam in the Garden of Eden – an innocent. Versucht, Kontakt mit den Menschen aufzunehmen, wird als Antwort jedoch beschimpft und verjagt. They throw stones at him, and he turns and runs.  
Dann lernt die Kreatur den blinden de Lacey kennen, der ihm gegenüber erstmals Güte und Freundlichkeit zeigt. Nach dem ersten, grausamen Einfluss der Menschheit (die ersten Worte, die die Kreatur lernt, sind piss off und bugger off) bringt de Lacey ihm etwas über das Paradies bei, lehrt ihm Sprechen und Schreiben.
De Lacey will der Kreatur seinem Sohn und dessen Frau vorstellen, beschreibt sie als gute Menschen, die die Kreatur akzeptieren werden. Doch stattdessen bezeichnen sie ihn nach dem ersten Anblick als devil, die Frau verlangt sogar von ihrem Mann: Thrash it! Kill it!
Die Kreatur läuft davon und reagiert so, wie er es in den Geschichtsbüchern gelernt hat: What do they do when they feel like this? Heroes, Romans – what do they do? I know. They plot. They revenge. I sweep to my revenge!
Als nächstes macht sich die Kreatur auf den Weg nach Genf, um seinem Schöpfer entgegenzutreten. Er will wissen, warum Victor Frankenstein ihn alleine gelassen hat, warum er alleine ist. Er wünscht sich eine Gefährtin, die ihn nicht im Stich lässt, wie die Menschen es getan haben. Obwohl die Kreatur Victors Bruder getötet hat, stimmt dieser zu und lässt seine Verlobte in Genf, um in Schottland eine weibliche Kreatur zu erschaffen, getrieben von seiner Hybris und wissenschaftlicher Besessenheit.
Doch nach Fertigstellung der weiblichen Kreatur überkommen Victor Zweifel, ob es wirklich eine gute Idee ist, ein zweites Wesen dieser Art zu erschaffen, sodass er seine zweite Schöpfung vor den Augen der Kreatur zerstört.
Wutentbrannt rächt sich die Kreatur, indem er die Verlobte Victors ermordet. Frankenstein beginnt daraufhin eine Jagd auf seine Schöpfung, um diese auszulöschen.
Das Stück endet mit der Kreatur und seinem Schöpfer, vereint.
Don’t leave me. Don’t leave me alone. You and I, we are one. While you live, I live. When you are gone, I must go too. All I wanted was your love.

Vielleicht merkt man an dieser doch etwas lang geratenen Zusammenfassung schon, dass mir das Stück einiges bedeutet, aber ich will noch etwas mehr schreiben, über Liebe und nature versus nurture.
Die Kreatur ist zu Beginn des Stücks gut, unschuldig. Das erste, was der Leser erfährt, über die Kreatur und über die Handlung selbst, ist There’s the sound of a heartbeat. Nachdem de Lacey ihm von der Erbsünde erzählt, antwortet die Kreatur: Me not do bad things. Durch ständiges Lesen und Lernen wird die Kreatur nachdenklich, traurig, und einsam. Ideas batter me like hailstones. Questions but no answers. Who am I? Where am I from? Do I have a family?
Als er Victor konfrontiert, verlangt die Kreatur eine Erklärung, will wissen, warum sein Schöpfer ihn im Stich gelassen und die Menschheit ihn misshandelt hat. I [...] remember being hunted like a rat [...]. I [...] remember being beaten and whipped. And I was good, I wanted to be good! [...] If I’m a murderer, you made me one.
Gleichzeitig vertraut die Kreatur Frankenstein seinen Wunsch nach einer Gefährtin an, seinen Wunsch, von einem anderen Geschöpf akzeptiert zu werden, um glücklich zu sein. Um wieder gut zu sein. I will walk in the Garden with my fair angelic Eve! I will be Adam, she will be Eve! And all the memory of hell will melt like snow.
Doch nach dem letzten Verrat durch Frankenstein, nach der Zerstörung seiner Braut, ist all das verloren. My heart is black. It stinks. My mind, once filled with dreams of beauty, is a furnace of revenge! Three years ago, when I was born, I laughed for joy at the heat of the sun, I cried at the call oft he birds – the world was a cornucopia to me! Now it is a waste of frost and snow.

Für mich war es faszinierend zu sehen und zu lesen, dass die Kreatur, das scheinbare Monster des Stücks, zu Beginn seiner Geschichte voll Liebe ist, während der Mensch, der Schöpfer Frankenstein vollkommen gefühlskalt scheint. Nur eine kurze Zeit nach dem Tod seines jüngeren Bruders will Frankenstein die Kreatur mit dem Mord konfrontieren, vergisst aber die Gräueltat augenblicklich, um seine Schöpfung zu bewundern. My God – muscular coordination – hand and eye – excellent tissue – perfect balance! Während die Kreatur Frankenstein anfleht, ihm eine Gefährtin zu geben, die er verehren und lieben kann, weiß Victor noch nicht einmal, wie sich Liebe anfühlt.

        V: How does it feel, to be in love?
C: It feels like all the life is bubbling up in me and spilling from my mouth, it feels like my lungs are on fire and my heart is a hammer, it feels like I can do anything in the world!
V: Is that how it feels?
C: Yes! That is how it feels.

Das ist übrigens eines meiner Lieblingszitate, ich Schnulzi.
Diese Gegenüberstellung der beiden Protagonisten, die Frage, wer von beiden nun das eigentliche Monster ist, wird schlussendlich unterstrichen, als Frankensteins Vater sich gegen Ende des Stückes, als Victor versessen darauf ist, seine tote Verlobte wieder zum Leben zu erwecken, fragt: What have I brought into the world? [...] Take him away. I can’t look at him. He’s monstrous!
Das führt mich auch zu der Erklärung, warum ich mir das Stück ein zweites Mal angeschaut habe. Außer natürlich, weil es nicht nur inhaltlich, sondern auch aufgrund der theatralischen Umsetzung wunderbar ist. Die Darsteller der Kreatur und des Frankensteins haben jeweils beide Rollen gelernt und alternierend aufgeführt, so steckte in jeder Kreatur ein wenig Frankenstein und in jedem Schöpfer ein wenig Schöpfung.

Ich glaube, hier ist ein guter Schlusspunkt. Auch wenn es in diesen vier Word-Seiten, die ich gerade voll bekommen habe, wohl deutlich geworden ist, nochmal meine wärmste Empfehlung: lest das Stück oder, noch besser, schaut es euch an, wenn es mal wieder in einem Kino eurer Wahl gezeigt wird.
Ihr werdet mit Sicherheit nicht nur gut unterhalten. Ich spreche nur für mich persönlich, aber besonders das traurige Urteil der Kreatur über die Menschheit hat bis heute einen bleibenden Eindruck hinterlassen:


I have watched, and listened, and learnt. At first I knew nothing at all. But I studied the ways of men, and slowly I learnt: how to ruin, how to hate, how to debase, how to humiliate. And at the feet of my master, I learnt the highest of human skills, the skill no other creature owns: I finally learnt how to lie.




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* Nick Dear: Frankenstein. Based on the Novel by Mary Shelley. Faber and Faber, London. ISBN 978-0-571-27721-6

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